Vom Sternzeichen Skorpion
Die herausragende Abarth-Sammlung von Leo Aumüller
Guido Gluschitsch für Fiat Emozioni


Verschlafen liegt der kleine Ort Schönbrunn hinter Nürnberg. Obwohl es inzwischen schon fast 10:00 Uhr ist, sieht man kaum jemanden auf der Straße. In dem Ort, der eigentlich weder besonders schön ist, noch haben wir einen solchen Brunnen gefunden, gehen die Uhren anders. Nur hin und wieder wird die verträumte Ruhe gestört, wie eben. Der Klang eines kleinvolumigen Vierzylinders schneidet eine Schneise voll Leben, Endorphinen und Rennsport in die lethargische Dunstglocke, die über Schönbrunn gestülpt zu sein scheint. Laut polternd, aber sorgsam bewegt, biegt das rote Geschoß rechts in eine Einfahrt, ein Tor geht auf und verschlingt den roten Abarth Bialbero mitsamt seinem Lenker Leo Aumüller.

Leo Aumüller ist eine Abarth-Legende, und für echte Fans der Marke liegt Schönbrunn schon lange nicht mehr in Wien, sondern ist das Abarth-Mekka in Franken. Über 50 Jahre lang fuhr der inzwischen 74 Jahre alte Mann Rennen, errang Siege, und hat heute eine der bemerkenswertesten Abarth-Sammlungen. Vom Sternzeichen ist er Skorpion – ganz egal, was die Geburtsurkunde sagt.

Bereits mit 14 Jahren verlässt er Schönbrunn. Statt die Schmiede seines Vaters zu übernehmen, geht er nach Bamberg und beginnt eine Lehre als Mechaniker bei der Fiat- und Büssing-Vertretung Müsch. „Der Chef hat mich einen ganzen Tag vor der Tür stehen lassen“, erinnert sich Leo Aumüller an sein Bewerbungsgespräch, „Als ich am Abend immer noch dort stand, gab er mir widerwillig doch die Arbeitsstelle.“ 25 Mark verdiente er damals, genau so viel, wie er für sein Zimmer in Bamberg zahlte. „Ich war der schnellste Brotzeit-Holer aller Zeiten, weil ich so beim Metzger einen Wurstzipfel bekam, beim Bäcker ein Stück Brot. So bin ich durchgekommen“, erinnert er sich mit einem Glänzen in den Augen, während er am Bialbero schraubt. Der Sportwagen ist ein Kundenfahrzeug, das beim Einfahren in die Werkstatt eine kleine Kühlwasser-Spur hinterließ, die Leo Aumüller sofort aufwischte. Arbeitseifer und Genauigkeit sind die Untertitel seiner Biografie.

Bereits um halb sechs Uhr früh ist er jeden Tag in seiner inzwischen freien Werkstatt, in der sich der einstige Fiat-Händler auf alte Abarths spezialisiert hat. Als Erstes wischt er den Werkstattboden, dann richtet er die Fahrzeuge für seine Monteure her, damit die mit der Arbeit beginnen können.

Er kann sich noch genau an seine erste Begegnung mit einem Abarth erinnern, die gleich der Auslöser für seine spätere Sammelleidenschaft war. „Ich habe 1955, vielleicht war es 1956, den ersten Urlaub gemacht“, erinnert er sich an die Fahrt mit seinem 1100er Fiat mit 36 PS. „Wir fahren auf der fast leeren Autobahn am Meer entlang, immer nur Vollgas. 110, 120 km/h schnell. Irgendwann schau ich in den Rückspiegel und sehe auf einmal weit hinter uns ein Auto. Und ich denke mir, ich spinne – der kommt näher“, erzählt er, mit weit aufgerissenen Augen. In seiner Hand dreht er hektisch eine der Zündkerze, die er gleich in den Bialbero verbauen will. „Als ich nach einiger Zeit wieder in den Spiegel schaue, ist der Wagen auf einmal da – direkt hinter mir. Ich schaue genau hin, da ist es ein 600er Fiat. Das kann ja nicht sein, denk ich mir, wie kann ein 600er Fiat so schnell laufen?“ Es war einer der ersten 750er Abarth. „Der hatte damals fast 40 PS“, schwärmt Leo Aumüller, als ihm die Zündkerze aus der Hand fällt und in mehrere Teile zerspringt. Doch das hält ihn nicht davon ab, seine Geschichte weiter zu erzählen. Während er die Teile aufhebt, beschreibt er, wie er von Genf bis Turin auf Automessen gefahren ist, um herauszufinden, was Abarth ist und macht.

„Zu der Zeit war ich ein normaler Monteur und konnte mir keinen Abarth leisten“, gibt er zu. „Ein Abarth-Simca hat so viel gekostet wie drei 220er Mercedes. Ich konnte mir nicht einmal einen 220er kaufen – geschweige denn drei.“ Leo Aumüller gab sich damit zufrieden, ab und an einen Abarth zu reparieren und dann, wenn alles gut ging, eine Probefahrt zu machen.

Als er sich 1961 selbstständig macht, sammelt er schon Topolini. Erst zu Beginn der 1970er-Jahre konnte er sich seinen ersten Abarth kaufen. „Es war ein gebrauchter TC, den ich mir gar nicht alleine gekauft habe – sondern gemeinsam mit meinem Monteur“, sagt Leo Aumüller. Er wischt jetzt ein zweites Mal den Boden, um die Reste der Kühlwasser-Spur des Bialbero zu entfernen.

Natürlich fuhr er mit dem TC nicht nur spazieren. „Ich bin unglaublich viele Rennen gefahren: Früher, in den 60er- und 70er-Jahren waren die Bergrennen das Wichtigste. Das hat sich dann langsam, zwischen 1975 und 1980, geändert“, erinnert sich Leo Aumüller, wie er dann auch anfing, auf der Rundstrecke zu fahren. Mit einem Fiat 128 Coupé fuhr er in den 1970er-Jahren in der Deutschen Meisterschaft in der Gruppe 1, startete aber auch zur gleichen Zeit in der Gruppe 2. „Damals durften wir mit Abarth nimmer fahren, denn die waren ja nicht mehr homologiert“, bedauert er die immer strenger gewordenen Regeln.

Seine Rennen ist er immer heimlich gefahren, gesteht er: „Am besten bin ich gefahren, wenn ich wusste, dass kein Zuschauer da war, den ich kenne. Da bin ich über mich hinausgewachsen.“ Dabei waren seine Rennen eine echte Anstrengung für ihn.

„Ich bin am Samstag um zwei Uhr früh auf den Nürburgring gefahren, am Sonntag um zehn oder elf am Abend war ich wieder zurück in der Firma, weil ich am Montag ja wieder da sein und arbeiten musste.“ Seine Frau, die von den Rennen wusste, aber nicht unbedingt von ihnen begeistert war, mahnte ihn stets: „Wenn du Rennen fahren kannst, kannst du auch arbeiten.“ „Ich bin am Freitag am Abend nach Rom gefahren, habe dort gewonnen, und am Sonntag am Abend war ich wieder da“, erzählt er stolz. So war er immer der Letzte, der zu einem Rennen kam, und der Erste, der wieder abfuhr.

Zu spät kam er nie – nur das eine Mal, als er Karl Abarth in Wien besuchen wollte, um ihn zu bitten, seine drei Abarths, darunter ein 850 TC und ein 1000 TCR, zu signieren. „Leider war Karl Abarth damals schon schwer krank – wir kamen zwei Monate zu spät nach Wien. Wir standen viele Stunden vor dem Haus, in dem Karl Abarth wohnte“, erinnert sich Leo Aumüller. Doch zu Gesicht bekamen sie nur den Arzt, der ihnen sagte, dass Karl Abarth den Aumüllers den Gefallen nicht mehr machen könne.

Inzwischen hat Leo Aumüller viele alte Abarths. Alle originalgetreu restauriert und fahrfertig. Wie viele es genau sind, kann oder mag er nicht sagen. Doch mit den meisten fuhr er erfolgreich Rennen. Selbst mit so Gusto-Stückerln wie dem OT 2000, von dem es nur drei Stück auf der Welt gibt. Er hat das Abarth-Lufthansa Coupé, einen Prototypen, der von der Scuderia Lufthansa gefahren wurde. Er hat Bialberos, Double-Bubbles, sogar einen Lancia delta integrale, „weil der ja bei Abarth gebaut wurde“.

Zu so vielen Fahrzeugen hat er es nur mit Geduld, viel Arbeit und Hartnäckigkeit geschafft. „In Nürnberg ist einer einen Abarth gefahren, einen 1300er Spider, und er hat immer gewonnen“, erzählt er die Geschichte eines seiner Schätze. „Nach zehn Jahren ist mir das Auto wieder eingefallen, also habe ich das Telefonbuch genommen, den Mann herausgesucht, ihn angerufen und gefragt, ob er den Abarth noch hat.“ Er hatte, und er wollte verkaufen. 24.000 Mark wollte er für den inzwischen heruntergekommenen Spider. „Um 10.000 Mark hast du damals einen Neuwagen bekommen“, setzt Leo Aumüller den Preis in Relation. „Ein halbes Jahr später wollte er noch 12.000 Mark, ich habe ihm 4.000 Mark zahlen wollen.“ Doch da mache er dann lieber einen Blumentopf draus, sagte der Besitzer. Weitere zwei Monate später „haben wir uns bei 8.000 Mark geeinigt“. Leo Aumüller hat den Abarth – wie auch alle anderen – komplett zerlegt, gereinigt, restauriert und original wieder aufgebaut. Heute könnte man aus diesem Motorraum essen. Wie auch vom Werkstattboden, den Leo Aumüller inzwischen zum dritten Mal gewischt hat, um die letzten Spuren des Kühlwassers vom Kunden-Bialbero zu entfernen.

Leo Aumüller arbeitet gern, genau, perfektionistisch. Und das wird er weitermachen, verspricht er, solange er lebt.

Dieser Artikel erschien im Kundenmagazin Emozioni der Fiat Group Automobiles Austria.

Text Guido Gluschitsch / www.gluschitsch.com